Welche Mehrwerte und einfache Lösungen hat die Baubiologie für nachhaltiges Bauen, Sanieren und ein gesundes Raumklima zu bieten?
Wie können Gebäude nachhaltig, technologisch sinnvoll und gesundheitsverträglich gebaut werden? Was können wir von der Natur für den Bau von smarten und resilienten Gebäudekonstruktionen lernen?
Eine Nachlese zur baubiologica am 13.06.2024
Der Verband Baubiologie e.V. (VB) veranstaltete am 13.06.2024 die zweite baubiologica natürlich bauen. wohnen. arbeiten. Die Fachtagung für gesunde Innenräume. 12 engagierte Referenten teilten in Online-Vorträgen ihre Erfahrungen und auch ihre Begeisterung für das Bauen mit der Natur mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen.
In ihrer Begrüßungsrede schilderte Pamela Jentner, 1. Vorsitzende des Verband Baubiologie, wie durch Klimawandel, Ressourcenknappheit und zunehmendes Unwohlsein in Gebäuden aufgrund von schlechtem Raumklima und Schadstoffen ein grundlegendes Umdenken begann.
Schon Anfang der 90er Jahre wiesen die ersten baubiologischen Pioniere auf die Einflüsse von Innenräumen auf die Gesundheit der Menschen und die Bedeutung der Bauweise für Umwelt und Klima hin. Weltweit gibt es mittlerweile Bestrebungen, ökologische Ansätze zu stärken. Gesundheit und Nachhaltigkeit wurden zum Megatrend.
Die Baubiologie unterstützt all diese Bestrebungen seit Jahrzehnten und bietet dabei noch viel mehr! Die Baubiologie ist ein geniales ganzheitliches System, das die Natur als Maßstab sieht und auf dem Vorsorgeprinzip basiert.
Der gemeinnützige Verband Baubiologie e.V. setzt sich seit 2002 mit einem wachsenden Netzwerk dafür ein, dass gesunde Innenräume zur Selbstverständlichkeit für alle werden.
Mit der baubiologica wollen wir Akzente setzen für eine nachhaltige und gesunde Baukultur nach baubiologischen Prinzipien.
Die Grußworte wurden gesprochen von diesen Kooperationspartnern:
Institut für Baubiologie + Nachhaltigkeit IBN: Johannes Schmidt
Stiftung B.A.U. und DGUHT e.V. : Karl-Heinz Weinisch
Die Veranstaltung wurde von einem breiten Netzwerk aus Kooperationspartnern und Unternehmen unterstützt, die alle gemeinsam zu einer gelungenen Fachtagung beigetragen haben. Einen herzlichen Dank an dieser Stelle an alle Beteiligten!
Inhalte der Nachlese
Baubiologie - Die Zukunft des nachhaltigen Bauens
Nachhaltigkeit im Bauwesen ist auch eine besondere Herausforderung im Umgang mit Bestandsgebäuden. Gebäude mit guter Bausubstanz könnten weitestgehend erhalten, saniert und Baustoffe wiederverwendet werden, um weniger Energie zu verbrauchen und Ressourcen zu schonen.
Die in der Vergangenheit eingesetzten Baustoffe und Verfahren, die heute als Risiko für Mensch und Umwelt angesehen werden, müssen bei der Sanierung aus dem Verkehr genommen werden, um gesunde Innenräume zu schaffen.
Peter K. Wolff führte aus, wie im Rahmen der Gebäudeerkundung die Bau- und Nutzungshistorie zu ermitteln und zu prüfen ist, ob und welche Gefahrstoffe im Gebäude vorhanden sind, damit diese im Schadstoffkataster erfasst, rückgebaut und saniert werden können.
Bild 2: Pamela Jentner - CycloPlasma-Anwendung im Dachstuhl der Thierlmühle, Freilichtmuseum Glentleiten im Rahmen des Forschungsprojekts „CycloPlasma“ des Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP
Auch Gerüche in Innenräumen können ein Indikator für Schadstoffe, Schimmelpilze oder Bakterien sein. Über Ursachen und Maßnahmen informierte Geruchsprüfer und Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Humantoxikologie e.V. sowie der Stiftung B.A.U., Karl-Heinz Weinisch. Zur Analytik von Innenräumen auf Gefahrstoffe ist die Zusammenarbeit mit akkreditierten Laboren, wie z.B. dem Analytik Institut Rietzler erforderlich, welches Luft-, Staub- oder Materialproben analysieren kann.
Für den Neubau von Gebäuden wurden mittlerweile diverse Zertifizierungssysteme für nachhaltiges Bauen, wie z.B. DGNB oder QNG entwickelt, die u.a. an bauliche Fördermaßnahmen gekoppelt sind. Holger König stellte die aktuellen Fördermöglichkeiten vor und stellte fest, dass diese sich hauptsächlich auf die Energieeffizienz von Gebäuden konzentrieren. Wichtig für die Bewertung von Gebäuden sei eine komplette Lebenszyklusanalyse und auch die Volldeklaration der Bauprodukte.
Ulrich Steinmeyer stellte in seinem Vortrag die Frage, wie nachhaltig z.B. das Re-, Up- oder Downcycling von Kunststoffen wirklich ist? Es entstehe zwar auch ein Kreislaufsystem, aber das Ausgangsmaterial bleibt immer Kunststoff, mit allen seinen negativen Umweltauswirkungen. Er appellierte daran, sich an natürlichen vollständigen Kreislaufsystemen zu orientieren, wie es Naturbaustoffe ermöglichen und diese auch bei den aktuellen staatlichen Förderprogrammen stärker zu gewichten. Zudem kündigte er an, dass ÖkoPlus in Kürze eine Liste mit QNG-tauglichen Naturprodukten veröffentlichen wird.
Auch Stefan Schön plädierte für die Volldeklaration der Bauprodukte und präsentierte baubiologische Lösungen als Schlüssel zu umweltfreundlichen und gesunden Gebäuden, die auf der Anwendung natürlicher, emissionsarmer und regionaler Baustoffe, wie z.B. Lehm, Holz, Hanf oder Kalk basieren.
Bild 3: Dittmar Hecken, Stampflehmwand im Lehmbaukurs der Bildungswerkstatt für nachhaltige Entwicklung e.V. (BiWeNa)
Im Gegensatz zu Kunststoffen sind natürliche unbehandelte Baustoffe schadstofffrei, diffusionsoffen, schalldämmend oder wärmespeichernd, recyclefähig und langlebig. Gut kombiniert ergänzen sie sich durch ihre jeweiligen Eigenschaften. Lehm hält durch seine geringe Ausgleichsfeuchte das Holz trocken und ist somit ein wunderbarer natürlicher Holzschutz. Er kann zusätzlich Gerüche absorbieren, Mobilfunkstrahlung dämpfen und den Raumklang sowie den sommerlichen Wärmeschutz verbessern. Kalk ist aufgrund seiner Alkalität ein gutes Mittel um Schimmelpilzbefall vorzubeugen.
Nach den Erfahrungen von Silvio Stolpe lassen sich durch Kombinationen dieser beiden Baustoffe im Innenbereich von Gebäuden fast alle baulichen Anforderungen erfüllen, ausgenommen Nassbereiche und unter Fliesen. Beide Baustoffe sind auch für Allergiker sehr gut geeignet. Bei der Herstellung entstehen zudem nur sehr geringe Emissionen, teilweise sogar CO²- Reduktionen. All diese Vorteile zeichnen natürliche Baustoffe als umweltfreundliche und gesunde Baustoffe aus.
Das Unternehmen Conluto - Vielfalt aus Lehm berichtete erfreulicherweise, dass Lehm aktuell ein vermehrt nachgefragter Baustoff ist. Er wird in vielfältigen Variationen angeboten, z.B. erdfeucht und trocken oder als vorgefertigte Lehmbauplatten und kann sowohl traditionell als auch hochmodern verarbeitet werden. Zum regelmäßig stattfindenden Lehmbautreff von Conluto sind alle Interessenten herzlich eingeladen.
Ein wunderbares Beispiel für ein gelungenes Bauprojekt in Holzbauweise ist z.B. das Projekt „Mokib“ - Berliner Kitas in modularer Holzbauweise, welches von der natürlich-baubio-logisch GmbH, einem Ingenieurbüro mit Spezialisierung auf Holzbau und die Sanierung mit Naturbaustoffen sowie Unternehmens-Fördermitglied im Verband Baubiologie begleitet wurde. Der Baustoff Holz bildet bis zu seinem Lebensende einen Kohlenstoffdioxidspeicher und entlastet so die Umwelt.
Um wirklich gesunde und nachhaltige Gebäude zu schaffen, sollten baubiologische Aspekte berücksichtigt werden, zusätzlich zur Erfüllung der QNG-Anforderungen.
„Ist ein Gebäude smart, welches durch Regensensoren das Öffnen und Schließen der Fenster reguliert, nur weil die Fenster so konstruiert sind, dass sie sich nach außen öffnen und es reinregnet?“
Prof. Dr. Friedrich Idam präsentierte, wie Simple Smart Buildings, also kluge Gebäude aus sich heraus einfach und ohne technische Unterstützung funktionieren. Das Salzkammergut mit seinen natürlichen Vorkommen an Kalkstein und Holz sei dafür eine wunderbare Lehrstube.
Auch anhand weiterer faszinierender Naturbaustoffe präsentierte er die Cleverness der Natur. So hat Torfmoos z.B. ein hohes Wasseraufnahmevermögen, eine hohe Diffusionsoffenheit und ist durch den Wiederanbau für die Renaturierung trockengefallener Torfe wieder regional verfügbar.
Bild 4: Idam - smarte Fensterkonstruktion am Beispiel eines Kastenfensters
Die kluge Verwendung von Baumrinde, kann durch die darin enthaltenen Tannine, nicht nur den Baum, sondern auch das Gebäude schützen und steht als Abfallprodukt bei der Holzverarbeitung zur Verfügung. Sein Fazit war eindeutig: Wir können von der Natur für den Bau von Gebäuden, u.a. auch Fassaden, Fenstern, Jalousien und den sommerlichen Wärmeschutz viel lernen und für die Gestaltung bauphysikalisch einwandfrei funktionierender, langlebiger und smarter Gebäude nutzen.
Er appellierte daran, technische Unterstützung nur wo nötig einzusetzen, sie sei teilweise kurzlebig, nicht sinnvoll platziert und benötigt unnötige Ressourcen. Er unterstützte damit die Forderung aus unserem baukulturellen Erbe zu lernen. Smarte Gebäude sind bei fachgerechter Bauweise und unter Beachtung der konstruktiven (nicht chemischen) Schutzmaßnahmen aus sich heraus resilient und einfach zu sanieren.
Bild 5: Andreas160578 auf pixabay
Bei der nachhaltigen Energiegewinnung sind technische Anwendungen natürlich unabdingbar. Doch auch hier stellt sich die Frage nach einer sinnvollen Nutzung. Ökonomische und ökologische Lösungen und wie ein Spagat zwischen Effizienz und Nachhaltigkeit bei Heizungs-, Lüftungs- und PV-Anlagen gelingen kann, stellte Matthias Wellhöfer-Weber vor.
Durch bidirektionales Laden von PV-Anlagen kann z.B. der Eigenverbrauch des erzeugten Stroms erhöht und der Überschussstrom zur Warmwasser-Bereitung für raumklimafreundliche Heizsysteme, wie Fußboden- sowie Wand- oder Deckenheizung und auch zur Kühlung verwendet werden. Bei der Warmwasserbereitung ist eine dezentrale Lösung empfehlenswert. Die Vorteile liegen im einfachen Aufbau, niedrigen Vorlauftemperaturen, der Langlanglebigkeit und einer einwandfreien Hygiene. Sie sollten immer zusätzlich mit erneuerbaren Energien kombiniert werden.
Aus gesundheitlicher Vorsorge steht in der Baubiologie auch der Schutz vor unnötigen technischen und natürlichen Strahlungsbelastungen im Fokus. Welche gesetzlichen Regeln für den Einbau von Smart Metern, den neuen digitalen Verbrauchszählern bestehen und welche Alternativen es zu den funkenden Verbrauchszählern im Haushalt gibt, präsentierte Jörn Gutbier von der Verbraucherschutzorganisation diagnose:funk.
Aus seiner Sicht ist die als Ziel angegebene Kosteneinsparung zweifelhaft. Es wäre gesünder auf ständige, kurz getaktete Verbrauchserfassungen zu verzichten und stattdessen das Ablesen von außen ca. 2 x monatlich durchzuführen. diagnose:funk fordert zudem die Beibehaltung von analogen Zählern, auch da der Datenschutz bei digitalen Verbrauchserfassungen bisher sehr unsicher ist.
Für ausführliche Informationen empfehlen wir den Artikel „Funkende Zähler und Smart Metering - was gilt? Was ist verpflichtend und was kann ich tun?“.
Um die Strahlenbelastung durch das natürliche radioaktive Radongas in Innenräumen zu reduzieren, braucht es nach Auffassung von Richard Zinken mehr Aufklärung und Förderungen als Anreize für die Umsetzung der erforderlichen Sanierungsmaßnahmen. Radon ist die zweithäufigste Ursache für Lungenkrebs oder um es mit den Worten von Richard Zinken zu sagen: „Radon ist die häufigste Ursache für Lungenkrebs bei Nichtrauchern.“ Messgeräte für alle Radonanwendungen bietet u.a. die Firma SARAD GmbH an.
Baubiologie - Die Zukunft des nachhaltigen Bauens
Durch baubiologisches Bauen wird nicht nur die Gesundheit der Bewohner gefördert, sondern auch der ökologische Fußabdruck von Gebäuden minimiert. Naturbaustoffe sind nachwachsende oder mineralische Rohstoffe, die regional und ressourcenschonend bezogen werden können und sich in den Kreislauf der Natur wieder einfügen lassen.
Bild: Verband Baubiologie e.V.
Indem wir auf die natürlichen Ressourcen zurückgreifen und baubiologische Prinzipien in der Planung und Umsetzung von Bauprojekten berücksichtigen, können wir nicht nur unsere Gesundheit schützen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zum Schutz unserer Umwelt leisten. Insgesamt bietet baubiologisches Bauen ganzheitliche Lösungen für gesunde und nachhaltige Gebäude.
Dr. Wanja Wedekind bestätigte aus jahrelanger Berufserfahrung, dass auch für die Sanierung von historischen Gebäuden die schon damals verwendeten Naturbaustoffe auch heute noch die beste Lösung sind. Um eine nachhaltige Baukultur zu entwickeln, lohnt es sich historische Gebäude als Vorbild zu nehmen und daraus für die Zukunft zu lernen.
Wussten Sie schon, dass auch das Umfeld oder die Freunde einen Einfluss auf unsere Baugewohnheiten haben? Jordan Kouto stellte anhand eines inspirierendes Projektbeispiels vor, wie im Rahmen von Workshops angehenden Bauherren und Baufamilien natürliche Baustoffe erlebbar gemacht werden und wie so durch lebenslanges Lernen und Nachahmung ein Umdenken in der Baubranche gefördert werden kann.
Nachhaltiges Bauen und Sanieren ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft unseres Planeten und unserer Gesundheit.
Lassen Sie uns gemeinsam die Zukunft des Bauens gestalten und mit baubiologischen Lösungen einen positiven Einfluss auf Gesundheit und Umwelt nehmen!
Werden Sie Mitglied oder unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrer Spende!
Die Referenten der baubiologica 2024
Holger König (Dipl. Ing. Architektur, DGNB/BNB Auditor, München)
Stefan Schön (Baubiologe und Gebäude Energieberater IBN)
Ulrich Steinmeyer (Diplomökonom und Passivhaushandwerker, Vorstand ÖkoPlus AG)
Peter K. Wolff (Baubiologe und Messtechniker IBN, Energiefachberater, Bauberater und Geruchsprüfer kdR, Vorstand Verband Baubiologie)
Jordan Kouto (Techniker Hochbau HF, Baubiologe FA)
Dr. Wanja Wedekind (Dipl. Restaurator)
Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Friedrich Idam (Bauphysik Professor an der Höheren technischen Bundeslehranstalt in Hallstatt, Lehrauftrag an der Leopold-Kohr-Akademie)
Jörn Gutbier (Dipl. Ing., Freier Architekt (AKBW), Baubiologe IBN, 1. Vorsitzender diagnose:funk e.V.)
Matthias Wellhöfer-Weber (Wirtschaftsingenieur (B.Sc.), Energieberater und Baubiologe IBN, Staatlich geprüfter Umweltschutztechniker für regenerative Energien, Energieberater BAFA, KfW)
Silvio Stolpe (Bausachverständiger, Baubiologische Beratungsstelle IBN)
Karl-Heinz Weinisch (Vorstand Stiftung B.A.U. und DGUHT e.V., Mitbegründer des Bundesverbands Bauberater kDr)
Richard Zinken (Dipl. Ing., Radonfachperson, Vorstand Stiftung B.A.U.)
Die Partner der baubiologica 2024
Stiftung Baubiologie.Architektur. Umweltmedizin (Stiftung B.A.U.)
Institut für Baubiologie + Nachhaltigkeit IBN
Deutsche Gesellschaft für Umwelt- und Humantoxikologie DGUHT e.V.
Analytik Institut Rietzler GmbH
weitere Informationen
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Pressemitteilung - Einladung zur baubiologica natürlich bauen. wohnen. arbeiten. Die Fachtagung für gesunde Innenräume am 13.06.2024 - Programm der baubiologica 2024...
- Unser Gastbeitrag zur Fachtagung im CRADLE Magazin ist hier veröffentlicht.